"Messy Middle"
Wie Sie die schwierige Phase Ihres Semesters überstehen
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Ich erinnere mich gut daran, dass ich als Studentin zu Beginn eines Semesters nur so vor Motivation sprühte. Ich freute mich auf die Vorlesungen und auf all die neuen Dinge, die ich bald lernen würde. Ich konnte es kaum erwarten, dass es endlich losgeht. Während dieser ersten Wochen des Semesters lauschte ich aufmerksam den Vorlesungen, diskutierte mit meinen Freunden darüber, was ich Neues gelernt hatte und bewältigte den Lesestoff und die Schreibaufgaben mit Leichtigkeit.
Machen wir einen Sprung zur Mitte des Semesters. Ich hasse es, es zugegeben zu müssen, aber zu diesem Zeitpunkt gab es fast immer ein oder zwei Kurse, die mich nicht mehr begeistern konnten. Die schriftlichen Hausarbeiten langweilten mich – ich machte alles andere lieber, als an meinem Schreibtisch zu sitzen und noch eine Arbeit über ein Thema zu schreiben, das mich nicht interessierte. Sogar in den Kursen, die ich noch interessant fand, ließ ich mich nur schwer begeistern und fühlte mich ausgelaugt und überfordert.
Dieses Phänomen eines Tiefs in der Semestermitte ist nicht untypisch. Im Englischen wird es gerne als “mid-semester slump” (dt. Semester-Mitte-Krise) oder “mid-semester blues” bezeichnet. Eine in der Geschäftswelt geläufige Bezeichnung für diese Phase ist “messy middle” (dt. chaotische Mitte). Damit gemeint ist die Zeitspanne nach der anfänglichen Begeisterung und Motivation, in der es nur langsam Fortschritte gibt. In dieser Phase müssen Sie Ihre Erwartungen anpassen und dennoch fühlt sich alles wie eine Schinderei an.
In diesem Blog-Beitrag schauen wir uns verschiedene Symptome der “messy middle” an und geben Ihnen Tipps, wie Sie diese kurieren:
1. Es liegt nicht nur an Ihnen – am Anfang war es wirklich einfacher
Man hat oft den Eindruck, dass ganz am Anfang alles einfacher ist. Sei es eine neue Beziehung, ein neues Semester oder ein neuer Job – die Aussicht auf etwas Neues ist spannend und motivierend.
Wir sehen die Welt dabei aber nicht nur durch die rosarote Brille. Der Beginn eines Semesters ist auch objektiv betrachtet viel einfacher als dessen Mitte. In den ersten Vorlesungswochen werden Sie vermutlich das wiederholen, was Sie im vorherigen Semester erlernt haben und neuen, grundlegenden Konzepten begegnen. Danach baut jede Veranstaltung auf dem Wissen der vorherigen auf und die Inhalte werden von Mal zu Mal komplexer. Falls Sie zu Beginn eines Kurses Schwierigkeiten hatten, ein zentrales Konzept zu verinnerlichen, wird alles, was darauf aufbaut, noch viel schwieriger sein.
Mit der Komplexität nimmt auch der Workload im Laufe des Semesters zu. Zusätzlich zu kleineren Aufgaben reihen sich auch längerfristige Projekte. In Kombination mit Ihren anderen Verpflichtungen über das Studium hinaus, kann das alles zu viel werden.
→ Tipp:
Machen Sie sich klar, dass es nicht nur an Ihnen liegt. Ihr Semester fühlt sich nicht mehr so spannend und einfach an, da der Inhalt der Kurse komplexer und Ihre Aufgaben schwieriger geworden sind. Zudem haben Sie schlicht mehr Arbeit zu erledigen. Dieser Teil des Semesters kann sich deshalb schwierig anfühlen, weil er schlicht schwieriger ist.
2. Immer das Gleiche
Auch Langeweile zählt zu den Erfahrungen, die Sie in der Mitte des Semesters machen werden. Der Hauptgrund ist, dass das Gefühl des Neuen und Unbekannten, das wir zu Beginn des Semesters hatten, schon lange hinter uns liegt. Wir wissen, wie unsere Dozenten ticken, kennen alle Kommilitoninnen und Kommilitonen in unseren Kursen, haben jede Woche den gleichen Stundenplan und müssen jeden Tag unsere Hausaufgaben bewältigen und natürlich lernen – immer und immer wieder. Das kann in der Mitte des Semesters besonders monoton werden, da das Ende noch lange nicht in Sicht ist.
→ Tipp:
Probieren Sie beim Lernen etwas Neues aus. Sie könnten Ihre Routineaufgaben zu einem Quiz um konzipieren, Ihren Arbeitsort öfters verändern, oder sich mit Ihren Mitstudierenden zusammentun und sich gegenseitig abfragen.
3. Fehlende Motivation
Es kommt vor. Manchmal landen Sie in einem Pflichtkurs, für den Sie sich überhaupt nicht interessieren. Sie müssen sich förmlich in die Vorlesung schleppen und schieben die Aufgaben des Kurses endlos vor sich her.
→ Tipp:
Sind Ihre Kurse nur wenig anregend, dann werfen Sie doch mal einen Blick auf das große Ganze. Denken Sie an den Abschluss, der zum Greifen nahe ist und die tolle Karriere, die vor Ihnen liegt. Ihr langfristiges Ziel wird greifbarer, wenn Sie es visualisieren oder es aufschreiben. Das hilft Ihrer Motivation im Hier und Jetzt.
Um die Arbeitsaufgaben Ihrer uninteressanten Kurse zu erledigen, warten Sie nicht darauf, dass Sie plötzlich doch motiviert sind – das könnte schlimmstenfalls nie passieren. Schaffen Sie sich eine Routine, sich hinzusetzen und einfach mit Ihren Aufgaben loszulegen (im Idealfall jeden Tag zur gleichen Zeit). Das machen Sie auch, wenn Ihnen gerade nach allem anderen ist, nur nicht nach den Aufgaben. Damit Sie Ihren Fokus nicht aus dem Blick verlieren, probieren Sie die Pomodoro-Methode aus.
4. Ständigen Arbeitsdruck spüren
Im Gegensatz zu einem klassischen 9-to-5-Job mit einer natürlichen Trennlinie zwischen Arbeit und Privatleben, macht es der flexible Zeitplan im Studium schwerer, überhaupt irgendwann abzuschalten. Insbesondere abends oder an Wochenenden könnten Sie immer noch mehr machen. Zudem ist es oft schwer den Punkt zu erkennen, an dem Sie genug gemacht haben. Das kann zu chronischem Stress führen. Wenn Sie oft in diese Denkweise geraten, ist es besonders wichtig, sich Zeit für die Erholung zu nehmen. Fühlen sich Pausen für Sie nach Luxus an, denken Sie daran, dass Sie dabei Ihrem Gehirn helfen, wichtige Verbindungen herzustellen.
→ Tipp:
Wenn Sie nicht jede Woche einen kompletten Tag pausieren können, nehmen Sie sich Stunden oder auch nur Momente Ihres Tages nur Zeit für sich. Selbst wenn Sie nur etwas Abstand nehmen und sich im Laufe des Tages drei Minuten lang auf Ihre Atmung konzentrieren, kann dies schon Ihr Nervensystem beruhigen und Ihr Stresslevel reduzieren.
5. Pläne über Bord werfen
Zum Semesterstart wollten Sie jeden Tag Sport machen, sich bei einer Studierendenorganisation engagieren und Kurse mit insgesamt 30 ECTS-Punkten belegen. Sie hatten sich den Plan zurechtgelegt, jeden Tag vier Stunden lang zu lernen und ab Woche zwei mit dem Schreiben Ihrer Hausarbeiten zu beginnen. Jetzt zur Mitte des Semesters haben Sie längst alle Pläne über Bord geworfen und haben das Gefühl unterzugehen. Sie reagieren einfach nur noch auf all Ihre Aufgabe, die Sie erledigen müssen.
→ Tipp:
Ein Plan kann zerstörerisch sein, wenn er überambitioniert ist und Sie sich als Versager fühlen, falls Sie ihn nicht einhalten können. Da hilft es, absichtlich viel leichter erreichbare Pläne zu schmieden. Planen Sie weniger ein, als was Sie eigentlich an einem Tag schaffen könnten. Setzen Sie sich beispielsweise nicht das Ziel, ein ganzes Buch innerhalb eines Tages zu lesen und zusätzlich Notizen zu machen. Schreiben Sie sich stattdessen einen Zeitplan, der das Lesen über eine Woche hinweg verteilt. Wenn Sie Ihre 30 Seiten dieses Tages gelesen haben, streichen Sie die Aufgabe von Ihrer Liste (oder markieren Sie sie als erledigt in Citavi). Nun sind Sie zufrieden, da Sie Ihren Plan eingehalten haben. Sie könnten sich sogar dazu entschließen, gleich für den nächsten Tag im Voraus zu arbeiten. Mit dieser Vorgehensweise bleiben Sie im Schwung und verbinden positive Gefühle mit Ihrer Arbeit.
Und wenn Sie wirklich sehr hinter Ihrem Zeitplan beim Lesen oder in Ihrem Projekt hinterherhinken, schnell aufholen müssen oder eine unumgängliche Deadline haben? Trotz der besten Planung müssen Sie eine Nachtschicht einlegen. Hassen Sie sich dafür nicht. Machen Sie einfach weiter und versuchen Sie es das nächste Mal zu vermeiden, denn beim Bulimie-Lernen bleibt langfristig nichts hängen.
6. Mit negativen Gefühlen umgehen
Die psychologischen Aspekte der “messy middle” sollten nicht unterschätzt werden. Wenn die Komplexität eines Kurses steigt, fühlen sich manchmal selbst die klügsten Studierenden nicht klug genug für den Kurs. Oder sie machen sich selbst fertig, da sie prokrastinieren oder faul sind. Es kann auch besonders schwer sein, mit der psychischen Belastung unter konstantem Stress in der Mitte des Semesters umzugehen.
→ Tipp:
Menschen können nach schwierigen Zeiten wiederaufleben, solange die stressigen Zeiten mit regenerierenden Aktivitäten ausgeglichen werden. Deshalb ist es wichtig, nicht grundsätzlich alle Aktivitäten Ihres Lebens abzublasen, wenn Ihr Workload zunimmt. Machen Sie weiterhin Sport, haben Sie Spaß bei Ihrem Hobby, treffen Sie Freunde und essen Sie nicht vor Ihrem Computer.
Halten Ihre Gedanken und Sorgen Sie nachts wach, kann Ihnen Meditation vor dem Schlafengehen dabei helfen, Ihren Fokus zu ändern und sich zu entspannen. Wenn Sie jetzt denken, dass Sie dafür keine Zeit haben, werden Sie überrascht sein, dass sich schon nach nur 27 Minuten jeden Tag eine Verbesserung zeigt, wenn Sie konstant dabei bleiben.
Sind sie völlig am Ende und wissen nicht weiter, wenden Sie sich an die psychologische Beratungsstelle Ihrer Universität. Auch wenn es einfach klingt, kann Ihnen das Gespräch mit einer Fachperson helfen, Ihre Gedanken zu sortieren und neue Perspektiven zu finden. Scheuen Sie sich nicht davor, in schweren Zeiten um Hilfe zu bitten.
7. Wenn sich alles sehr, sehr schwierig anfühlt – erkennen Sie Ihr Tief an
In meinem zweiten Studienjahr verbrachte ich ein Auslandssemester in Bonn. In unseren ersten Sprachkursen wurde uns gesagt, dass sich unsere Sprachkenntnisse rasch während des ersten Monats verbessern, anschließend aber stagnieren würden.
Das passierte tatsächlich und war schrecklich frustrierend. Meine Sprachkenntnisse stiegen in meinem ersten Monat exponentiell, aber in den darauffolgenden Monaten waren meine Fortschritte quälend langsam. Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, ich würde schlechter werden, da ich Anfängerfehler in einfachen Konversationen machte. Dennoch sprach ich am Ende des Semesters flüssig – ich hatte es nur nicht bemerkt.
In seinem Buch The Dip beschreibt Seth Godin das Tief, das nach der Anfangsphase einer herausfordernden Aufgabe eintritt. Analog zur “messy middle” ist der “dip” die Phase, in der alles unmöglich schwer erscheint und Fortschritte sich unendlich ziehen. Zum Beispiel könnten Sie das Gefühl haben, dass Sie organische Chemie nie verstehen werden, auch wenn Sie sich sehr anstrengen und viel Zeit ins Lernen investieren.
In solchen Zeiten sagt uns unser Instinkt aufzugeben, da es sich unangenehm anfühlt. Allerdings wird genau während dieses Tiefs unser Gehirn wirklich gefördert und wir lernen am meisten. Wenn Sie weitermachen, Ihre Aufgaben erledigen, in Vorlesungen gehen und Beratungs- oder Tutorium-Termine wahrnehmen, werden Sie am Ende die Inhalte besser verstehen.
→ Tipp:
Der Schlüssel zur Erkenntnis ist, nicht so überfordert zu werden, dass Sie aufgeben. Teilen Sie Ihre Hausaufgaben oder Seminararbeiten in kleine Aufgaben auf, die Sie Schritt für Schritt erfolgreich bewältigen. Anstatt daran zu denken, wie viel Sie noch für einen Kurs erledigen müssen, konzentrieren Sie sich darauf, was Sie während dieser Lern-Session machen werden. Ist eine Aufgabe sehr schwierig, lassen Sie sich nicht ablenken und widmen Sie sich nur dieser einen Aufgabe. Erreichen Sie den Punkt, an dem Ihr Kopf weh tut, machen Sie eine lange Pause ohne Ihre Arbeit im Blick zu haben. Oder legen Sie die Aufgabe ganz beiseite und kommen Sie am nächsten Tag darauf zurück. Meist werden Sie es beim nächsten Blick darauf als leichter empfinden.
Wir hoffen von Herzen, dass Sie mit diesen Tipps die schwierige Phase Ihres Semesters leichter überstehen werden. Wenn alles schon zu spät ist, denken Sie daran, dass die “messy middle” vorbeigehen und es besser werden wird.
Durchleben Sie gerade die “messy middle”? Haben Sie persönliche Tipps, um diese Phase zu meistern, die wir nicht genannt haben? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar auf unserer Facebook-Seite.
Zur Vertiefung
Dieser Blogbeitrag wurde durch die folgenden beiden Bücher inspiriert, die sich beide in erster Linie an Geschäftsleute richten:
Belsky, Scott (2018): The messy middle. Finding your way through the hardest and most crucial part of any bold venture. New York: Portfolio/Penguin. ISBN: 978-0735218079
Godin, Seth (2007): The dip. A little book that teaches you when to quit (and when to stick). New York: Portfolio. ISBN: 978-1591841661