Wie geht „richtig Zitieren“?
Ein Erklärungsversuch individueller Zitierregeln
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Wenn ich Online-Schulungen zu Citavi gebe, frage ich vor Beginn nach den Erwartungen und Fragen der Teilnehmer. Zuverlässig kommt mindestens einmal die Frage „Wie zitiere ich richtig?“. Wie gerne würde ich darauf antworten: „Ja, das muss genau so aussehen: Zuerst steht der Nachname des Autors, dann sein Vorname, […] am Ende dann der Verlag, der mit Doppelpunkt zum Jahr abgetrennt wird.” Aber leider muss ich stattdessen sagen: „Es gibt kein allgemeingültiges, richtiges Zitieren.“ Denn jeder Fachbereich hat eigene Vorstellungen davon, wie richtiges Zitieren aussieht. Dann ist die Verunsicherung erst einmal groß.
Einig ist man sich allenfalls darüber, welche zentralen Informationen ins Literaturverzeichnis gehören: Autor, Titel, Jahr und Zeitschriftenname bilden ungefähr den kleinsten gemeinsamen Nenner. Denn ohne diese Angaben ist es für den Leser nur sehr schwer, einen Artikel zur Kontrolle der Aussage wiederzufinden.
Aber schon zur Position der Nachweise gibt es unterschiedliche Methoden: sie können in den Fußnoten stehen oder im Text erscheinen. Die Fußnotenmethode ist älter, das System der Nachweise im Text entwickelte sich erst danach, wie sie in diesem Blog-Beitrag nachlesen können. Und wie die jeweiligen Nachweise dann im Einzelnen auszusehen haben, an welcher Stelle welche Informationen zu nennen und wie sie voneinander zu trennen und zu formatieren sind, das ist dann Gegenstand unzähliger unterschiedlicher Zitiervorgaben.
Dass jede fachliche Disziplin im Laufe der Zeit eigene Zitiermethoden entwickelt hat, die über die Jahre tradiert wurden, leuchtet ein. Mediziner müssen beispielsweise keine spezielle Zitiervorgabe für Kommentare zu Gerichtsurteilen kennen. Auch umfassende Fußnotenapparate mit weiteren Hinweisen sind nicht nötig, es genügt eine kurze Referenznummer im Text, die im Literaturverzeichnis aufgeschlüsselt wird und zum zitierten Fachaufsatz weiterführt.
Warum könnten Hochschulen eigene Zitiervorgaben entwickeln wollen?
Eine Frage lässt sich jedoch mit dem Verweis auf Traditionen nicht beantworten:
Warum passen Universitäten, Lehrstühle und Dozenten auch heute noch bestehende Zitierrichtlinien individuell an? Dies ist insbesondere in Deutschland ein häufiges Phänomen. Jeder Dozent, jede Fakultät und jeder Lehrstuhl geben dort meist eigene Leitfäden, Richtlinien oder Hinweise zum Umgang mit Quellen und zum korrekten Zitieren heraus. Darin finden sich häufig individuelle Zitiervorgaben.
Ich habe mir meine eigenen Hypothesen gebildet, warum viele Institutionen solche individuellen Empfehlungen formulieren, anstatt bereits verfügbare Standardwerke und -richtlinien zum wissenschaftlichen Arbeiten und Zitieren zu empfehlen:
- Die bestehenden Richtlinien sind ungenügend und müssen überarbeitet werden.
Bei einer schnellen Recherche im WorldCat nach „wissenschaftliches Arbeiten“ sind fast 5000 Titel in der Trefferliste. Neben allgemeinen Werken gibt es auch viele an bestimmte Fachrichtungen gerichtete Werke, z.B. „Wissenschaftliches Arbeiten im Philosophiestudium“.
Darin finden Studierende Anleitungen und Hinweise zum Umgang mit Quellen und der Zitierpraxis dieses Fachbereichs. Die Hochschule könnte eines dieser Werke zum Standard erklären, dem die Studierenden folgen könnten.
Gegen die Empfehlung eines bestehenden Werkes könnte sprechen, dass diese Richtlinien möglicherweise nicht aktuell sind, z.B. Dokumententypen aus Social Media nicht erwähnt werden. Daraus könnte der Wunsch nach der Überarbeitung dieser Werke entstehen.
Neben Standardwerken zum wissenschaftlichen Arbeiten gibt es Zitiervorgaben von Institutionen wie dem Deutschen Institut für Normung (DIN). In einem früheren Blog-Beitrag hatten wir uns die Norm DIN ISO 690 genauer angeschaut, die jedoch teilweise widersprüchlich und unklar ist. Aus diesem Grund könnte die Zitiernorm nicht an Hochschulen empfohlen werden. - Die bestehenden Leitfäden und Werke sind nicht bekannt.
Die Personen, die einen neuen Stil für eine Universität entwickeln, könnten schlicht nicht wissen, dass es in ihrem Fachbereich häufig genutzte Zitierstile gibt. Sie haben bisher an ihrer Universität und bei ihren Publikationen immer andere Anforderungen an die formale Gestaltung des Literaturverzeichnisses und der Nachweise erhalten. Deshalb könnten sie davon ausgehen, dass es normal sei, als Institution eigene Vorgaben zu erarbeiten.
Folglich erfahren auch die Studierenden dieser Hochschule nichts von Standard-Zitierregeln. Es könnte im Curriculum beispielsweise aus Zeitgründen nicht vorgesehen sein, ein bestimmtes Regelwerk zu erlernen und gemeinsam zu erarbeiten. Oder es steht nur in einer Fremdsprache bereit und ist dadurch schwerer zu verstehen.
Sie möchten wissen, welche Standardrichtlinien es in Ihrem Fachbereich gibt? Der Citavi-Support stellt hier häufig abgerufene und vollständig dokumentierte Zitierrichtlinien nach Fachbereich vor. - Die Autoren der Richtlinien möchten sichtbar werden.
Wissenschaftliche Institutionen und Forscher könnten eigene Richtlinien erstellen, um sich zu legitimieren und die eigene Bekanntheit zu steigern. Das ist vergleichbar mit der Aktivität in sozialen Netzwerken, die sich an die Forschung richten.
So sind an manchen Hochschulen die institutionellen Regelwerke unter dem Namen des Erstellers bekannt, vergleichbar mit „Dem Pschyrembel“ als Synonym für ein medizinisches Nachschlagewerk. Das Regel- bzw. Standardwerk heißt so wie dessen Autor, der dadurch bekannter wird. - Eigene Regeln sind zeitsparend.
Diese Hypothese ist etwas ketzerisch. Wenn bei der Bewertung der formalen Gestaltung einer Arbeit ein Regelwerk verwendet wird, welches der Betreuer der Arbeit selbst nicht beherrscht, dauert die Korrektur sehr lange. Erscheint beispielsweise doch einmal ein Vorname im Nachweis im Text bei der Verwendung des APA-Stils, muss geprüft werden, ob im Literaturverzeichnis wirklich zwei Autoren mit demselben Nachnamen vertreten sind. Diese Raffinessen zu erlernen und zu prüfen kostet Zeit. Da ist es einfacher, diese unbequeme Regel zu streichen und das Standardwerk an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Wenn man weitere Regeln selbst festgelegt hat, kann man sie sich gut merken und bei der Korrektur darauf achten. Der Blick ist darauf geschult und die Bewertung geht schneller. - Die bestehenden Regeln sind kostenpflichtig.
Leider sind die gängigen Regelwerke wie APA nicht kostenlos öffentlich zugänglich. Sind nicht genügend Exemplare in der Hochschulbibliothek vorrätig, scheuen sich Dozenten und Studierende vor den Kosten und können die Regeln nicht nachlesen.
Warum sollte auf eigene Zitiervorgaben verzichtet werden?
Zusätzlich zu der eingangs erwähnten Verwirrung der Studierenden führen die aktuellen Herangehensweisen zu hohen Kosten. Bei meiner Recherche konnte ich zwar keine Arbeit finden, die die Frage untersucht hätte, wie hoch diese Kosten für die Entwicklung und Umsetzung eigener Zitierrichtlinien an Universitäten sind. Aber diese fallen meines Erachtens von mehreren Seiten an:
- Dozenten überlegen sich Zitierrichtlinien und formulieren sie aus.
- Studierende müssen (schlimmstenfalls je Dozent) neue Richtlinien verstehen, erlernen und anwenden.
- Bibliotheken oder Schreibwerkstätten müssen bei der Anwendung der Richtlinien unterstützen (u.a. durch Umsetzung der Richtlinien für Literaturverwaltungssoftware).
Erschwerend kommt hinzu, dass selbst erstellte Richtlinien meist Fragen offenlassen. So werden beispielsweise nicht alle Dokumententypen abgedeckt oder es haben sich gar Widersprüche oder Tippfehler in die Dokumentation eingeschlichen.
Diese Ressourcen könnten an anderer Stelle viel sinnvoller eingesetzt werden. Ich würde mir wünschen, dass alle Studierenden im ersten Semester einen verpflichtenden Kurs absolvieren müssen, der sie ins wissenschaftliche Arbeiten (inklusive der verfügbaren Software-Werkzeuge) einführt und ein Standardregelwerk lehrt. In den USA kaufen oder leihen Studierende in der Bibliothek z.B. einen APA Citation Guide, den sie durcharbeiten und die Zitierstandards für verschiedene Dokumententypen daran einüben und verstehen. An anderen Institutionen könnten es je nach Fachbereich MLA, Chicago oder Vancouver sein. Um die sprachliche Hürde in Deutschland zu nehmen, gibt es Übersetzungen der Richtlinien. Der APA-Stil hat beispielsweise ein deutschsprachiges Pendant, das die Deutsche Gesellschaft für Psychologie herausgibt.
Vermutlich wird sich an dem bestehenden System so schnell nichts ändern. Mit dem Wissen, dass es mehr als ein „richtiges Zitieren“ gibt, könnte sich zumindest die Unsicherheit beim Einhalten von Formalitäten des wissenschaftlichen Arbeitens bei Studierenden legen. Denn man weiß, dass es Software gibt, die einem diese Arbeit abnimmt. Man versteht aber auch die Regeln, die die Software umsetzt und kann vor der Abgabe leichter das Ergebnis kontrollieren.
Schlussendlich könnten Studierende beim Schreiben ihrer Arbeit den Fokus mehr auf das legen, was wirklich zählt: den Inhalt der eigenen Arbeit.
Teilen Sie meinen Wunsch, nach weniger individuellen Richtlinien oder Leitfäden zum Zitieren? Haben Sie eigene Hypothesen, warum es in Deutschland diese Tendenz hin zu individuellen Vorgaben gibt? Auf Ihre Meinung und Erfahrung freuen wir uns auf Facebook.